Unter welchen Voraussetzungen haben geflüchtete Menschen Zugang zu Psychotherapieangeboten in der Schweiz?
Der Zugang zur Psychotherapie ist für Geflüchtete prinzipiell möglich, auch wenn sie sich noch im Asylverfahren befinden. Die Grundversorgenden müssen eine entsprechende Überweisung zur Psychotherapie machen. Trotzdem gibt es eine Reihe von Zugangsbarrieren zur Psychotherapie. Dabei kann man zwischen Barrieren der Aufnahmegesellschaft und Barrieren auf Seite der geflüchteten Menschen unterscheiden. Bei niedergelassenen Psychotherapeuten*innen sind die wesentlichen Barrieren der Mangel an Fachpersonen, die die Muttersprache der Geflüchteten sprechen, wie auch die Schwierigkeit, mit Sprach- und Kulturmitteln- den (Dolmetschenden) zusammenzuarbeiten, da die Finanzierung bis heute nicht geklärt ist. Gerade in Privatpraxen bedeutet es einen grossen Aufwand, wenn Finanzierungsgesuche gestellt oder die Dolmetscherkosten selbst übernommen werden müssen. Manche Psychotherapeuten*innen mit ethnozentristischen Ausrichtungen scheuen eine Behandlung, da sie mit eigenen Vorurteilen und Unsicherheiten konfrontiert werden. Bei Befragungen von Therapeuten*innen in Deutschland wurden vornehmlich negative Gefühle wie Hilflosigkeit, Überforderung, Gefühl von Inkompetenz von den Psychotherapeuten*innen genannt, wenn sie mit Geflüchteten arbeiteten. Gleichzeitig bietet die Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturen eine grosse Chance, die eigenen Konzepte, therapeu- tischen Haltungen oder auch Organisationsformen kritisch zu hinterfragen und klientenzentriert weiterentwickeln zu können. Wir haben dabei die Möglichkeit, die eigenen intellektuellen, experimentellen und emotionalen Grenzen zu erweitern. Auf der Seite der Geflüchteten sind andere Barrieren wesentlich. Die mangelnden Sprachkenntnisse erschweren es, unser Gesundheitssystem verstehen zu können. Oft suchen Menschen mit Migrationshintergrund zuerst einmal Lösungen in der Grossfamilie oder im eigenen Netzwerk. Wir können aber auch nicht davon ausgehen, dass geflüchtete Menschen unsere Krankheitskonzepte teilen. Zudem ist Psychotherapie für sie meist unbekannt und etwas Fremdes. So zeigt sich auch, dass mit der Dauer des Aufenthaltes die Inanspruchnahme von Behandlungsangeboten zunimmt.
Mit welchen Fragestellungen kommen Geflüchtete in die Psychotherapie?
Nicht selten werden die Klienten*innen zuerst einmal geschickt. Eine Fachperson im Sozialdienst oder im Asylbereich wird aufmerksam und denkt, dass Psychotherapie helfen könnte. In der ersten Zeit ist es dann wichtig, dass ein eigener Auftrag von den Patienten*innen formuliert werden kann. Gerade geflüchtete Menschen leiden aufgrund ihrer Kriegserlebnisse, Folter und Flucht häufig unter psychischen Störungen. So wird davon ausgegangen, dass 40% aller geflüchteten Asylsuchenden an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden und etwa 30% an Depressionen. Diese Beschwerden chronifizieren, wenn sie nicht frühzeitig behandelt werden. Die Lebensbedingungen in der Schweiz erweisen sich häufig als sehr problematisch und führen zu einem Leidensdruck und zu einer Aufrechterhaltung der bestehenden psychischen Beschwerden. Damit spezifische psychotherapeutische Ansätze helfen, ist es wichtig, diese Stressoren abzubauen beziehungsweise Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Wesentliche Themen sind ein unsicherer Aufenthaltsstatus, das Leben in Sammelunterkünften, fehlende Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten, Statusverlust, die Sorge um zurückgebliebene Angehörige, rassistische Anfeindungen und die Konfrontation mit Sprach- und Kulturbarrieren.
«Fremdes kann nicht aus dem Eigenen heraus hergeleitet werden.»
Durch die Migration oder Flucht kommt es zu einem Verlust von vielen Selbstverständlichkeiten und die geflüchteten Menschen müssen sich mit der fremden schweizerischen Welt in Beziehung setzen und im besten Fall einen Weg finden, sich als Subjekt ihrer Handlungen zu erleben.
Vor welche Herausforderungen werden Fachpersonen in der psychotherapeutischen Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund gestellt?
Bei einem Erstkontakt mit Geflüchteten kann es rasch zu Irritationen auf der Seite der Fachperson kommen. Kleidung und Auftreten können fremd wirken, Sprachprobleme schieben sich in den Vordergrund, sodass emotional bedeutsame Inhalte kaum zu erfassen sind. Grundlegende Werthaltungen und Einstellungen werden vielleicht nicht geteilt, was verunsichernd und beängstigend wirken kann. Natürlich nimmt das auch das Gegenüber wahr und realisiert die Unsicherheiten.
Es geht bei der transkulturellen Psychotherapie nicht darum, eine neue Psychotherapieform zu erlernen, sondern um eine kultursensitive Anwendung der psychotherapeutischen Methoden, die wir gelernt haben. Zu empfehlen ist eine systemisch-konstruktivistische Perspektive, in der eine Haltung einer anteilnehmenden oder wohlwollenden Neugier gegenüber Wertehaltungen entsteht, die den unseren widersprechen. Es geht also nicht nur um den Erwerb von Wissen über Kulturen, das wäre umfassend ja ohnehin kaum möglich, sondern vielmehr um die Fähigkeit, mit Wissenslücken umzugehen und sich über Wertesysteme, Traditionen und Emotionen, aber auch über die Erfahrung von Rassismus und Diskriminierung auszutauschen. Neben der Selbstreflexion über die eigenen Wertesysteme ist auch das Wissen von den eigenen Voreingenommenheiten und Stereotypen wichtig. Denn immer wenn eine Therapie stattfindet, sind persönliche und kulturelle Geschichten, Privilegien und Vorurteile mit von der Partie. Wenn wir uns um eine Vertiefung der kulturellen Kompetenz bemühen, führt das am Anfang paradoxerweise dazu, dass wir mehr Fehler des Handelns machen statt Fehler des Nicht-Handelns und Vermeidens. Wir wissen, dass eine Vertiefung von Beziehung immer auch einen Kontakt ermöglicht, der ausreicht, dass auch Fehler gemacht und angesprochen werden können.
Die Therapiebeziehung gilt als einer der wichtigsten Wirkfaktoren der Psychotherapie. Worauf ist bei der Gestaltung der therapeutischen Beziehung mit Geflüchteten besonders zu achten?
Mitchell, ein Neuropsychologe aus Harvard, hat mit bildgebenden Verfahren gezeigt, dass Begegnungen mit uns ähnlichen Menschen im ventralen medialen Präfrontalkortex mentalisiert werden, wo auch selbstreferenzielle Prozesse verarbeitet werden. Die Mentalisierung von fremd erlebten Menschen aktiviert hingegen dorsale Subregionen des medialen Präfrontalkortex und der Rückgriff auf selbstreferenzielle Prozesse fehlt. Das bedeutet, dass unser Verstehen von ähnlichen anderen Menschen auf den Vorstellungen von uns selbst basiert. Je unähnlicher jemand wahrgenommen wird, umso mehr muss man sich auf Stereotype abstützen. Das bedeutet auch, dass Fremdes nicht aus dem Eigenen heraus hergeleitet werden und auch nicht im Allgemeinen aufgehoben werden kann.
Für die Psychotherapie bedeutet das, dass wir Begegnungsräume schaffen müssen, in denen wir über die Wahrnehmung von Ähnlichkeiten miteinander in Kontakt kommen. Therapeuten*innen repräsentieren ihren Patienten*innen gegenüber bestimmte Dinge, und Patienten*innen repräsentieren ihren Therapeuten*in- nen gegenüber ebenfalls bestimmte Dinge wie zum Beispiel Ethnizität, Geschlecht oder soziale Klasse, was für die kulturell kompetente Fachperson wichtig ist wahrzunehmen. Es ist auch für unsere Patienten*innen hilfreich, wenn sie mit uns über Ähnlichkeiten in Kontakt kommen können. Gerade in der Zeit des Beziehungsaufbaus erzähle ich mehr von mir persönlich, als ich es mit meinen anderen Patienten*innen mache. Ich bringe meine eigene Migrationserfahrung ein oder erzähle Geschichten von anderen, was die Risiken und was die Chancen der Migration waren, was zurück- gelassen werden musste, aber auch, wer geholfen hat, zum Beispiel bei der Arbeit, was Überraschungen waren und Bewältigungserfahrungen. So kann gleichzeitig sichtbar gemacht werden, wie und worüber in der Psychotherapie gesprochen werden kann. Hier kann auch früh meine privilegierte Situation angesprochen werden, was auf dem Hintergrund der Deprivilegierung der Geflüchteten wichtig ist. Oft erleben sich Therapeuten*innen aufgrund der eigenen Privi- legien beschämt und auch schuldig, was unreflektiert zu einer Distanzierung und damit einer Belastung der therapeutischen Beziehung führt.
Die Sprache gilt gemeinhin als zentrales Instrument in der Psychotherapie. Wie wichtig ist eine gemeinsame Sprache in der Psychotherapie mit geflüchteten Menschen? Wie kann mit Sprachbarrieren umgegangen werden?
Auch wenn körper- und ausdrucksorientierte Behandlungsverfahren hilfreich sein können, bleibt die Sprache ein zentrales Element für die Psychotherapie. Menschen können sich über Gefühle und Emotionen meist am besten in der Muttersprache ausdrücken. Da Sprachbarrieren häufig unüberbrückbar sind, ist die Zusammenarbeit mit professionellen Dolmetschenden oft unumgänglich. Diese Arbeit birgt Chancen und Risiken. So können Sprach- und Kulturmittler*innen bei der Einordnung in kulturelle Kontexte helfen, da sie häufig aufgrund ihrer Herkunft ein spezifisches Kontextwissen besitzen. Aber auch die zeitliche Verzögerung und die Entlastung in der Nähe-Distanz-Regulierung kann sowohl für die Therapeuten*innen wie auch die Patienten*innen entlastend erlebt werden. Gleichzeitig ist es wichtig, die Rollen gut zu klären und, wenn es ein längerer dolmetschgestützter Therapieprozess wird, auch eine vertrauensvolle Beziehung zur dolmetschenden Person aufzubauen.
Was gibt es für kultursensitive Kommunikationsmittel?
Ein grundlegendes Ziel einer kultursensitiven Psychotherapie ist es, den therapeutischen Prozess so an die Bedürfnisse der Patienten*innen anzupassen, dass die therapeutische Beziehung positiv gestaltet und damit Behandlungsverläufe optimiert werden. Transkulturelle Kompetenz heisst auch immer, Patienten*innen in ihrer spezifischen Lebenswelt erfassen zu können. Wenn es gelingt, die Erfahrungen durch die Augen unseres Gegenübers zu sehen und auszudrücken, was das emotional bedeuten könnte, basierend auf eigenen Erfahrungen und einem psychologischen Common
Sense, ist dies sehr vertrauensbildend. Vertrauen ent- steht auch durch Transparenz und Orientierung, was insbesondere bei traumatisierten Geflüchteten entscheidend ist. Dort ist auch das Etablieren von Sicherheit zentral, was sich durch das Gefühl vermittelt, im jetzigen Setting die Kontrolle über sich selbst behalten zu können.
«Dieses kulturelle Repertoire des Einzelnen unterliegt einer fortlaufenden Veränderung.»
Damit eine therapeutische Begegnung hilfreich ist, benötigt es einen emotionalen Rapport. Ein wichtiger Faktor ist auch die Synchronisation, das heisst das Anpassen der verbalen und nonverbalen Kommunikation – wie Sprechgeschwindigkeit, Wortwahl, Komplexität der Sprache, Tonlage, körpersprachliches Verhalten oder Rhythmen.
Eine innere Offenheit und ein offenes Nachfragen sind hilfreich, wenn Synchronisation nicht gelingt oder Irritationen entstehen. Wenn es zu Kommunikationsschwierigkeiten kommt, ist es wichtig, explizit herauszufinden, was ich als Therapeut*in beigetragen habe. Ich frage zum Beispiel nach: «Was habe ich gesagt oder getan, dass Sie so erregt sind?» Hilfreich ist auch, sich anzugewöhnen, das eigene Verständnis zu überprüfen und auch hier nachzufragen, indem ich frage: «Verstehe ich das richtig?», und dann zusammenfasse, was ich glaube verstanden zu haben.
In der Psychotherapie von Menschen mit Migrationshintergrund wird oft von «interkultureller Kompetenz» und vom «transkulturellen Ansatz» gesprochen. Was versteht man darunter?
Unter transkultureller Kompetenz wird die Fähigkeit verstanden, eine andere Person in ihrer eigenen Lebenswelt zu erfassen. Es bestehen zwei nebeneinander existierende und wirksame Kulturbegriffe in unserer Gesellschaft. Der klassische Kulturbegriff geht auf Herder im 18. Jahrhundert zurück. Kulturen werden als in sich homogen und klar voneinander unterscheidbar verstanden. Kultur ist hier statisch, zeitlos und unveränderlich. Wenn zwei Kulturen verglichen werden, liegt der Fokus auf den Differenzen. Begriffe wie interkulturell basieren auf diesem Begriff und thematisieren die Interaktion zwischen zwei Kulturen, die Differenzen zwischen Eigenem und kulturell Anderem.
Im Rahmen der Globalisierung entstanden dynamische Kulturverständnisse, auf denen der transkulturelle Ansatz beruht. Kultur wird nicht mehr als homogen und beständig verstanden, sondern man geht davon aus, dass sich Kulturen mischen und dadurch verändern. Kultur wird nicht als Wiederholung von Traditionen verstanden, sondern als Prozess, in dem Bedeutungsräume geschaffen werden. Kultur ist dann ein verinnerlichtes Repertoire an Denk- und Wahrnehmungsmustern, die den Dingen des Lebens Sinn und Bedeutung und dem einzelnen Menschen eine kulturelle Identität verleihen. Dieses kulturelle Repertoire des Einzelnen unterliegt einer fortlaufenden Veränderung und Entwicklung.
Diese Herangehensweise an Kultur lässt sich relativ gut auf den psychotherapeutischen Kontext anwenden. Es bedeutet aber auch, dass die regionale Herkunft nur ein Aspekt von kultureller Zugehörigkeit ist. Andere Bedeutungsräume wie etwa religiöser Hintergrund oder soziales Milieu, städtischer oder ländlicher Lebensraum sind ebenfalls relevante Aspekte kultureller Identität. Vereinfacht könnte man sagen, dass vielleicht ein Student aus Mexico City mehr Ähnlichkeiten mit einem Studierenden aus Zürich aufweist als mit einer indigenen Mexikanerin, die auf dem Land lebt.
Wie lässt sich der «transkulturelle Ansatz» mit der systemischen Therapiehaltung vereinbaren?
Eine systemische Therapiehaltung ist mit einer transkulturellen Haltung sehr gut vereinbar, da sie die kulturellen Unterschiede beachtet und mit einer respektvollen Neugier und engagierten Neutralität einen Begegnungsraum anbietet und Veränderungen anstösst. Im transkulturellen Ansatz wird das Erleben in der Gruppe oder der Familie untersucht und es wird nicht von universellen Merkmalen einer Zugehörigkeit ausgegangen.
«Ziel ist es nicht, uns transkulturell fit zu schulen, sondern dass wir uns auf den Weg machen.»
Eine transkulturelle Haltung geht nicht von einem Expertentum aus, sondern ist eine Haltung der res- pektvollen Neugier und des Nicht-Wissens kombiniert mit einer Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen. Eine solche Haltung ist aus meiner Sicht gut in eine systemische Therapiehaltung zu integrieren. Zudem beinhaltet die transkulturelle Herangehensweise auch eine respektvolle Neugier der eigenen Voreingenommenheit gegenüber und eine Bereitschaft, diese ohne Scham und Schuld anzuerkennen. Das führt zu mehr Kongruenz und Authentizität. So könnten Begriffe wie fremd oder eigen übersetzt werden in «Ungewohntes», «Irritierendes» und «Unvertrautes», das die Weltsicht des Gewohnten ins Wanken bringt und zur Reflexion und vielleicht auch zur Änderung der eigenen Position und eigener Deutungsschemata führt.
Das Systemische Konzept geht vom Menschen als biopsychosozialem System aus. Es betrachtet den Menschen im Kontext seiner Beziehungen. Dieses soziale Netzwerk umfasst nicht nur die Beziehungen innerhalb von Partnerschaft, Familie, Freunden, sondern betrachtet auch die Umwelt des Systems mit ihren natürlichen, sozioökonomischen und kulturellen Bedingungen, zu denen auch der Migrationskontext gehört. Was sind deiner Meinung nach die Möglichkeiten und Grenzen des systemischen Ansatzes in der Psychotherapie
von geflüchteten Menschen?
Die systemische Therapie bezieht, wie ihr sagt, den Kontext und natürlich auch den kulturellen Kontext in die Therapie ein. Da das Setting in der systemischen Therapie flexibel ist, sind der Einbezug und die Zusammenarbeit mit Angehörigen, Unterstützenden, Dolmetschenden leicht zu integrieren. Es gibt Ansätze und Methoden, die mit transkulturellen Ansätzen sehr gut korrespondieren. Gut geeignet sind zum Beispiel «innere Landkarten». Darunter versteht die systemische Therapie Wechselbeziehungen zwischen Vorannahmen, Ideen und Bedeutungen, nach denen Mitglieder eines sozialen Systems ihr Weltbild immer wieder neu kreieren. Da diese inneren Landkarten immer wieder ausgehandelt und an den jeweiligen politischen, sozialen oder kulturellen Kontext angepasst werden müssen, ist dieses Konzept ein hilfreiches Modell, um über die Akkulturationsprozesse ins Gespräch zu kommen.
Systemische Methoden wie zirkuläres Fragen, Lebenserzählung, Genogrammarbeit oder auch die Arbeit mit dem Familienbrett lassen sich hervorragend in der Arbeit mit geflüchteten Menschen nutzen. Insbesondere Flüchtlingsfamilien sind mit einer Vielzahl an Herausforderungen durch die Migration belastet, die häufig mit erschwerten Lebensbedingungen in der Schweiz und Brüchen in der Lebensgeschichte verbunden sind. Dies benötigt ein Umdenken bisheriger Überzeugungen und die Bereitschaft, Veränderungen in den alltäglichen Gewohnheiten vorzunehmen.
Da eine hohe Anzahl an Geflüchteten traumatischen Situationen ausgesetzt war und entsprechend traumatische Folgestörungen entwickelt, ist es wichtig, in die systemischen Therapieansätze traumatherapeutische Behandlungsansätze zu integrieren und sich mit anderen Helfenden zu vernetzen. Dies ist weniger eine Grenze des systemischen Ansatzes als eine Integration von spezifischen Behandlungsansätzen in die systemische Methode.
Was ist dir wichtig, den Studierenden in der Weiterbildung zu vermitteln?
In der Weiterbildung ist es mir wichtig, einen Schwerpunkt auf die Reflexion der eigenen kulturellen Einge- bundenheit und der Akzeptanz von eigenen Stereotypen und Privilegien zu legen und eine Haltung zu vermitteln, dass mit Nicht-Wissen aktiv umgegangen werden kann. Schön wäre es, wenn Berührungsängste abgebaut werden könnten und vielleicht eine respektvolle Neugier und Offenheit gegenüber den geflüchteten Patienten*innen und deren Sichtweisen auf die Welt entstehen kann.
Ziel meines Seminars ist es nicht, uns transkulturell fit zu schulen, sondern dass wir uns auf den Weg machen. Denn wenn mehr Begegnungen mit kulturell fremden Menschen entstehen, gewinnen wir auch mehrere Geschichten und die Gefahr sinkt, von einer einzelnen stereotypen Geschichte bestimmt zu werden. Anzustreben ist eine Balance von verinnerlichten Geschichten, die von verschiedenen Begegnungen und Erfragungen mit Menschen aus einem Kulturkreis erzählen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Dr. med. Oliver Schwald, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, war von 2010 bis 2016 ärztlicher Leiter des Ambulatoriums für Folter- und Kriegsopfer des Schweizerischen Roten Kreuzes in Bern. Seit 2013 ist er in eigener Praxis in Bern tätig (www.sollievo.net). Zudem Vortrags-, Weiterbildungs- und Supervisionstätigkeit. Am IEF leitet er in der postgradualen Weiterbildung «Systemische Psychotherapie» das Seminar zum Thema «Interkulturelle Kompetenz und Psychotherapie mit Flüchtlingen».
Das Gespräch mit Oliver Schwald ist publiziert im IEF-Magazin Nr. 10, Frühling 2020.